Simone

Ein Tropfen sammelte sich auf der benetzten Eistee-Flasche und rollte elegant hinab. Ein kleines „Mhhh!“, entwischte mir und ungeduldig schaute ich auf die Uhr. In vier Minuten kam mein Zug  und nirgendwo sah ich jemanden, der mich abkassieren könnte. Dafür hörte ich von weiter hinten, wie jemand wütend angeschrien wurde. Ich fragte mich, ob es eine Regel gibt, laut der man nach einer bestimmten Wartezeit einfach gehen darf. Da erschien Simone hinter dem Tresen. Ich erschrak: Ihr Gesicht war nass, ihre Augen rot angeschwollen. In der Hand hielt sie ein Telefon, welches sie verzweifelt anschrie. Da sie jetzt näher war, konnte ich ihr Geschrei in einzelne Wörter entwirren: „Das glaubst auch nur du! Ich würde sowas nie machen!“ Ihre letzten Worte gingen so hoch, dass sie die Stimme verlor. Traurigkeit brach über mich zusammen. Bernd hatte es verbockt! „Wie würdest du denn reagieren, wenn du versuchst mich zu erreichen und ich melde mich zwei Tage lang nicht? Und dann kommt dieses Foto online?“ Sie hörte kaum zu und schrie weiter, schon ganz heiser: „Das ist mir egal. Das ist mir egal!“ Piep, sie hatte meinen Eistee gescannt. Sie gab ihn mir zurück und sagte leise zu mir: „Ein Euro Fünfzig.“ Dann laut zu Bernd: „Das. Ist. Mir. Egal!“ Sie wurde still, hörte zu und vergaß, dass ich noch da stand und nicht ging. Laut atmete sie tief ein, es war ein Schniefen, und sie sagte, diesmal liebevoll: „Ich glaube dir.“ Trotzdem rollten noch ein paar funkelnden Tränen über ihre Wange und tropften von ihrem Kinn auf ihr Kleid. Sie hatte ihm verziehen. Es war ihr doch nicht egal. Noch leiser, fast hauchend, flüsterte sie die nächsten Worte und diese klingen wie eine Liebeserklärung: „Ich weiß. Alles andere ist mir egal.“

(Bernd und Simone haben sich im Zug kennengelernt und seitdem begegnen sie mir immer wieder auf meinen Fahrten. Zumindest könnten die Pärchen sie sein. Das hier ist der dritte Teil. Am Anfang lernen sie sich im Zug kennen. Im zweiten Teil  sind sie frisch verliebt.)

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