Das Zelebrieren von schlechter Laune

Eno In A Bad Mood?
Gerade sitze ich am Küchentisch und erinnere mich an eine gestrige Bahnfahrt. Der Grund dafür ist, dass in mir jetzt gerade die gleiche schlechte Laune aufwallt, die ich während dieser Fahrt gespürt hatte. Mein Problem war vor allem, dass ich kein tatsächliches Problem hatte. Dann hätte ich eine Lösung finden können. So stand ich einfach in der Bahn mit meiner schlechten Laune und wusste nicht, wohin damit. Ich schaute mir die anderen Leute an. Einige lasen, ein Mädchen zupfte sich ihre Wimpern im Handspiegel zurecht und ein zwei Männer lachten unerhört glücklich miteinander. Die meisten starrten mit leblosen Gesichtern auf einen unbestimmten Punkt vor ihnen, um plötzlich an einer Haltestelle aufzustehen und die Bahn zu verlassen. Ich entschied mich ebenfalls für die Anteilnahmlosigkeit und suchte mir ein Stück Luft vor mir zum Starren aus.

Ich brachte meine Augen dazu, glasig zu werden. Die Bahn war nicht sehr voll, daher konnte ich mein Stück Luft immer bequem sehen. Mein Gehirn befolgte brav meine Anweisungen und befasste sich voll und ganz damit, schlechte Laune zu haben. Dazu überlegte ich mir allerlei Gründe, weswegen schlechte Laune das einzig Wahre zum Feiern sei. Der Schnee, vor allem der Schnee. Ich hasse ihn und er hat meine Gastfreundschaft eindeutig ausgereizt. Vorhin war ich einem sehr unfreundlichen Mann begegnet und mir war zu spät der Gedanke gekommen, dass ich ihn einfach anblaffen hätte sollen anstatt freundlich zu bleiben. Manchmal hilft es einfach nur, seine Cantenance zu verlieren. Dann dieses Jucken an meinem kleinen Finger. Unmöglich, da noch das Gute im Leben zu sehen.

Heute sitze ich in meiner Küche, der Tee schmeckt bitter und die Bachelor-Arbeit weigert sich stur, voranzukommen. Das Küchenfenster ist beschlagen und ich müsste bei Schneetemperaturen das Fenster öffnen. Mein kleiner Finger juckt. Von einer plötzlichen schlechten Laune überwältigt, lege ich knurrend meinen Kopf auf meine angezogenen Knie. Ich bin stark an meine schlechte Laune von gestern erinnert. Seit wann treffen mich solche „zu Tode betrübt“-Momente? Ich googel: „Frühzeitige Wechseljahre“ und beschließe, dass es wohl eher Symptome für das Menschsein sind. Ich knurre noch einmal etwas lauter. Schließlich bin ich alleine in der WG, da muss man die schlechte Laune etwas pompöser gestalten, um die gleiche Wirkung zu erzielen.

Als ich meinen Kopf wieder sinken lasse, fällt mir ein, wie die Bahnfahrt ausgegangen war. Der Blick eines Mannes riss mich aus meiner Zelebration raus. Es war ein Blick, den ich gut von mir selbst kenne, wenn ich Menschen in den Bahnen beobachte und versuche, ihre Bewegründe für ihre Launen herauszufinden. Er wendete sich ertappt weg. Verärgert versuchte ich mein Stück Luft wieder vor mir zu finden. Es gelang mir nicht, es war weg. Als ich den Mann wieder anblickte, machte ich ihm in meinen Augen deutlich, weswegen mit mir nicht zu spaßen sei: „Es schneit und mein Finger juckt! Hoffentlich geht die Welt bald unter!“ Der Mann war unbeeindruckt. Enttäuscht musste ich feststellen, dass meine schlechte Laune verflogen war. Als meine Bahn an meiner Haltestelle hielt, bemerkte ich, dass der Himmel blau aufriss.

Ob mein kleiner Finger noch juckte, weiß ich übrigens nicht mehr. Aber falls es so war, kümmerte es mich nicht sonderlich. Denn wegen solchen Dingen lasse ich mir doch keine Laune vermiesen. Eine SMS reißt mich aus meinen Erinnerungen: „Hey, was machst du?“ Fröhlich grinsend antworte ich: „Ich zelebriere meine schlechte Laune.“ Wenig später kommt wieder was: „Schick, da mache ich mit.“ Beherzt schütte ich den bitteren Tee weg und koche mir einen neuen. Wer hat schon Zeit für schlechte Laune?

Bild: Eno In A Bad Mood?//flickr: the justified sinner

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